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Sorgerecht und Impfung des Kindes
Die Frage, wer über das Impfen eines Kindes entscheiden darf, wird unterschiedlich beurteilt. Dies Frage wird relevant, wenn die Eltern noch das gemeinsame Sorgerecht ausüben. Bei einem Streit der Eltern betrifft die Entscheidung in einer Angelegenheit der Gesundheitssorge für das Kind. Sind sich die Eltern uneinig, dann kann einem Elternteil nach § 1628 BGB die alleinige Entscheidungsbefugnis in dieser Angelegenheit übertragen werden.
Hier ein Überblick über die Rechtsprechung:
1) Beschluss des AG Darmstadt vom 11.06.2015 (Az.: 50 F 39/15)
Sachverhalt
Die Eltern hatten das gemeinsame Sorgerecht für für zwei minderjährige Kinder. Die Kinder lebten bei der Kindesmutter. Die Antragstellerin hatte mehrere Gespräche mit der Kinderärztin der betroffenen Kinder, sie riet die Kinder impfen zu lassen. Der Antragsgegner lehnte dies ab.
Das Amtsgericht differenziert:
a) Die Entscheidung eine Impfung vorzunehmen, sei eine alltägliche Entscheidung, die derjenige vornehmen könne, bei dem die Kinder lebten. Das Amtsgericht führt aus, das die in Frage stehenden Impfungen, von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung vorgenommen werde und daher die Entscheidung von demjenigen zu treffen sei, bei welchem sich die Kinder gewöhnlich aufhalten.
b) Etwas andere gelte nur dann, wenn im Streit stehe, ob Impfungen nicht vorgenommen werden sollen. Da die Entscheidung die Kinder nicht impfen zu lassen, von „so gravierender Bedeutung sei“ handele es sich hierbei um eine Entscheidung von erheblicher Bedeutung.
Diese Entscheidung wurde durch das OLG Frankfurt aufgehoben (Beschluss vom 04.09.2015, Az.: 6 UF 150/15)
2) Beschluss des OLG Frankfurt vom 04.09.2015 (Az.: 6 UF 150/15)
Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang ein Kind geimpft werden soll, betrifft keine Angelegenheit des täglichen Lebens, sondern eine Angelegenheit, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist (§ 1628 BGB). Begründet wird dies damit, dass eine solche Entscheidung auch mit Gefahren und Risiken verbunden ist. So gilt bei Verdacht auf eine Masern-, Diphterie- oder Keuchhusten-Erkrankung nach § 34 Infektionsschutzgesetz ein Besuchsverbot in Kindergemeinschaftseinrichtungen (Schulen und Kindergärten). Auch nicht oder nicht ausreichend geimpfte Personen, die im selben Haushalt wie eine erkrankte oder krankheitsverdächtige Person wohnen, sind für einen Zeitraum von 14 Tagen nach dem Kontakt zu dem Erkrankten vom Besuch der Einrichtungen ausgeschlossen. Gerade die in letzter Zeit zu beobachtenden Folgen der Nichtimpfung, darunter das endemische Auftreten von Masern in Berlin seit Oktober 2014 mit weit über tausend Betroffenen, verbunden mit Schulschließungen und mindestens einem Todesfall sowie einem Schulverbot für nicht geimpfte Kinder.
Ausdrücklich lehnte das OLG die Differenzierung zwischen der Zustimmung zur Impfung als Angelegenheit des täglichen Lebens und ihrer Verweigerung als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung ab.
3) Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 18.05.2005 (Az.: 13 UF 12/05)
Sachverhalt
Die Eltern, deren Ehe rechtskräftig geschieden ist, üben die elterliche Sorge für das Kind gemeinsam aus. Der Mutter wurde das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen Die Parteien streiten darüber, ob und in welchem Umfang das Kind geimpft werden soll. Der Vater regte Impfungen des Kindes gegen Tetanus, Diphtherie und Kinderlähmung an und schlug vor, dass die Eltern sich beraten lassen sollten. Die Mutter lehnte dies ab.
Amtsgericht hat dem Vater zu Recht gemäß § 1628 BGB das Entscheidungsrecht über die Durchführung von Impfungen gegen Masern, Mumps, Röteln, Tetanus, Diphtherie, Hib und Polio übertragen
Das Kammergericht hat die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt.
Die Entscheidung über die Durchführung von Impfungen stellt eine Entscheidung von erheblicher Bedeutung dar, für die das Einvernehmen der Eltern gem. § 1687 I BGB erforderlich ist. Für die Entscheidung ist gemäß § 1697a BGB maßgebend, welcher Elternteil am ehesten geeignet ist, eine am Kindeswohl ausgerichtete Entscheidung zu treffen. Der Vater hatte sich schon seit Jahren um die Fragen der Impfung gekümmert und eine gleichbleibende Haltung bewiesen. Dagegen hatte die Kindesmutter ihre Meinung immer wieder verändert. Diese Stimmungsschwankungen gipfelten darin, dass die Mutter innerhalb des Beschwerdeverfahrens zunächst damit einverstanden war, einen Impfplan zu zustimmen; andereseits äußerte sie dann dahingehend, dass sie gegen Impfungen generell sei.
Das Kammergericht hatte auch kein Problem damit, die Entscheidungsbefugnis auf den Vater zu übertragen, obwohl das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt bei der Mutter hatte.
4) Beschluss des OLG Karlsruhe vom 02.06.2015 ( Az.: 18 UF 117/15)
Sachverhalt:
Die nicht verheirateten Eltern streiten darüber, ob das Kind gegen Tetanus geimpft werden soll.
Die Eltern leben getrennt. Eine gemeinsame Sorgeerklärung wurde nicht abgegeben. Das Kind lebt seit seiner Geburt bei der allein sorgeberechtigten Mutter. Der Vater übt regelmäßig sein Umgangsrecht aus. Der Vater reichte einen Schriftsatz ein, mit der eine Kindeswohlgefährdung anzeigte, da sich die Mutter weigerte das Kind gegen Tetanus impfen zu lassen. Er beantragte, ihm diesen Teilbereich der elterlichen Sorge zu übertragen. Das Amtsgericht – hat der Mutter mit Beschluss vom 05.05.2015 die elterliche Sorge für den Teilbereich Gesundheitsfürsorge „Tetanusimpfung“ gemäß § 1666 BGB entzogen und dem Vater übertragen. Dagegen legte die Kindesmutter Beschwerde ein.
Das OLG Karlsruhe bestätigte im Ergebnis die Entscheidung des Amtsgerichts:
Die Frage, ob bei dem Kind die Tetanusimpfung durchgeführt wird, stellt keine Angelegenheit des täglichen Lebens im Sinne des § 1687 Abs. 1 BGB dar, die von der Mutter – oder aber vom Vater gemäß § 1687a BGB – allein entschieden werden könnte. Denn medizinische Eingriffe und Behandlungen gehören mit Ausnahme von Routineuntersuchungen regelmäßig zu den Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind, da sie mit der Gefahr von Komplikationen und Nebenwirkungen verbunden sind.
Nach einer ausführlichen Abwägung der Argumente übertrug das OLG dem Kindesvater für diesen Bereich die Entscheidungsbefugnis.
5) Beschluss des OLG Jena vom 07.03.2016 (Az. 4 F 689/15)
Sachverhalt
Parteien streiten sich über die Durchführung Schutzimpfungen für ein minderjährige Tochter. Die Eltern haben die gemeinsame elterliche Sorge. Der Kindesvater der Vorwoche befürwortet die Durchführung sämtlicher altersentsprechender Schutzimpfungen. Er befürwortete die Durchführung der von der Ständigen Impfkommission der Bundesrepublik Deutschland (STIKO) empfohlenen empfohlenen Schutzimpfungen. Die Kindesmutter lehnte dies ab. Sie befürwortete Impfungen nur in den Fällen, in denen Impfschäden ausgeschlossen seien. In Deutschland bestünde keine gesetzliche Impfpflicht. Auch sei der Nutzen von Schutzimpfungen nicht erwiesen.
Das Amtsgericht hat dem Antragsteller das Entscheidungsrecht über die „Durchführung von Impfungen“ übertragen. Dagegen legte die Kindesmutter Beschwerde ein.
Die Frage ist von erheblicher Bedeutung. Dies sei unter anderem darin begründet, dass damit auch die Abwägung von Gefahren und Komplikationen sowie Nebenwirkungen verbunden sein könnten. Gegen die Einstufung als Angelegenheit des Alltags spreche auch die gesteigerte Aufmerksamkeit, die dem Thema in der öffentlichen Wahrnehmung und unter anderem in Diskussionsrunden zuteil wird.
Ob eine bestimmte Impfung abstrakt gesehen notwendig sei oder nicht, erfordere grundsätzlich medizinische Sachkunde. Das OLG lehnte sich hier an den Empfehlungen der Ständigen Impfkommission der Bundesrepublik Deutschland an.
In der Gesamtschau sei der Antragsteller daher besser geeignet die Entscheidung über die Impfungen alleine durchzuführen. Die Auffassung der Antragsgegnerin eine Schutzimpfung nur aus konkretem Anlass (zum Beispiel bei Auslandsreisen in ein Gefährdungsgebiet) vornehmen zu wollen, erscheine nicht geeignet die Gefahren für das Kind abzuwenden. Häufig würden Infektionsgefahren am Anfang überhaupt nicht erkannt so das eine Schutzimpfung gegebenenfalls zu spät oder gar nicht mehr erfolgen könnten.
Da es unterschiedliche Rechtsauffassungen bei den Oberlandesgerichten über diese Frage gab, hat das Oberlandesgericht Jena zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof zugelassen. Die Antragsgegnerin hat die Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof eingelegt. Sie wird unter dem Aktenzeichen XII ZB 157/16 geführt.
6) Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Mai 2017 (XII ZB 157/16)
Bei dieser Entscheidung handelt es sich um die Revisionsentscheidung zu dem Fall des OLG Jena (vgl. oben).
Bundesgerichtshof bestätigt die Entscheidung des OLG Jena vom 07.03.2016
Der BGH hat beschlossen, dass Entscheidungen über Schutzimpfung eines Kindes immer eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind sind. Die Entscheidungen müssen daher zusammen von den Eltern getroffen werden. Bei Uneinigkeit der Eltern über die Durchführung einer solchen Impfung kann die Entscheidungsbefugnis dem Elternteil, der die Impfung des Kindes entsprechend den Empfehlungen der ständigen im Kommission beim Robert-Koch-Institut befürwortet, übertragen werden.
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Autor: Rechtsanwalt Klaus Wille
und Fachanwalt für Familienrecht
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