Anhörung des Betriebsrates bei allen Kündigungen (Foto: Jamrooferpix/fotolia.de)

Eine Betriebsratsanhörung ist nicht ordnungsgemäß erfolgt, wenn dem Betriebsrat wesentliche Details nicht oder nicht vollständig mitgeteilt worden sind.

1.Sachverhalt

Die Parteien streiten über den Bestand eines Arbeitsverhältnisses. Kläger ist ein Arbeitnehmer, der 1970 geboren wurde,  verheiratet ist und zwei Kindern unterhaltverpflichtet ist.  Er arbeitet seit 2010 bei der Arbeitgeberin. In den Betrieb besteht an Betriebsrat. Dem Kläger wurde zunächst am 5. November 2015 fristgerecht gekündigt. Dagegen legte der Kläger Kündigungsschutzklage ein. Der Kläger und die Beklagte hatten am 20.01.2016 ein gemeinsames Gespräch. In diesem wurde der Kläger bezüglich eines Verdachts auf die Manipulation und die falsche Eintragung eines Fahrtenbuchs angehört. Zusätzlich wurde dem Betriebsrat ein Anhörungschreiben zu einer beabsichtigten Kündigung zu gesandt. In dem Anhörungsschreiben vom 20.01. teilte die Arbeitgeberin dem Betriebsrat mit, der Kläger habe keine Kinder. Der Beklagten war aufgrund der eingereichten Kündigungschutzklage gegen die erste Kündigung positiv bekannt, dass der Kläger zwar unterhaltsberechtigte Kinder hat. In dem neuen Anhörungsbogen wurde auch nicht mitgeteilt, dass dem Kläger bereits am 2. November 2015 gekündigt wurde.

Der Betriebsrat widersprach der beabsichtigten ordentlichen Kündigung. Den Widerspruch erhielt die Beklagte am 25.01.2017. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.01. 2016 zum 31 März 2016. Der Kläger hat gegen die erste Kündigungschutzklage eingereicht und wegen des zweiten Kündigungsschreiben seine Klage erweitert. Der Kläger behauptete, die Betriebsratsanhörung sei nicht ordnungsgemäß gewesen. Das Arbeitsgericht gab dem Kläger in erster Instanz Recht. Dagegen legte die Arbeitgeberin Berufung ein.

2.  Rechtlicher Hintergrund

Gemäß §102 Abs. 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz ist eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung unwirksam. Darüber hinaus führt auch eine nicht ordnungsgemäße Anhörung ebenfalls zu Unwirksamkeit. Der Arbeitgeber muss daher den Betriebsrat vor jede Kündigung anhören. Dies gilt für die ordentliche, die außerordentliche Kündigung und die Änderungskündigung. Für andere Beendigungstatbestände (zum Beispiel Anfechtung des Arbeitsvertrages oder Beendigung aufgrund eines Aufhebungsvertrages) gilt dies nicht.

Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Gründe mitteilen, die die Kündigung rechtfertigen sollen. Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat dabei auch die Sozialdaten des zu kündigenden Arbeitnehmers, die Kündigungsart, die Kündigungsfrist, den Kündigungstermin und die Kündigungsgründe detailliert mitteilen. Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, muss er diese unter Angaben der Gründe binnen einer Woche ab Unterrichtung durch den Arbeitgeber mitteilen. Lässt der Betriebsrat die Frist verstreichen, gilt seine Zustimmung als erteilt. Bei einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung beträgt die Frist nur drei Tage.

Der Betriebsrat kann der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn einer der Gründe des § 102 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz erfüllt ist. Die ordentliche Kündigung eines Mitglieds des Betriebsrats ist gemäß §15 Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich unzulässig.

3. Urteil des LAG Hessen vom 17.3.2017 (Az. 14 SA 879/16)

Das Landesarbeitsgericht (kurz: LAG) hält die Berufung des Arbeitgebers für unbegründet. Daher war die Kündigungsschutz begründet. Die Kündigung war unwirksam, weil der Betriebsrat vor ihrem Ausspruch nicht ordnungsgemäß angehört worden ist.

a) Die einwöchige Stellungnahmefrist des Betriebsrates war am 27. Januar 2016 um 24:00 Uhr abgelaufen.

Die Beklagte hat die Kündigung bereits am 27. Januar 2016 um 11:00 Uhr abgesandt. Allein deswegen ist die Anhörung nicht ordnungsgemäß vorgenommen worden. So führt der des LAG Hessen aus:

Die Betriebsratsanhörung vom 20. Januar 2016 wurde dem Betriebsrat frühestens an diesem Tag übergeben. Somit ist die einwöchige Stellungnahmefrist des Betriebsrats erst am 27. Januar 2016 um 24:00 Uhr abgelaufen. Die Beklagte hat die Kündigung jedoch bereits am 27. Januar 2016 gegen 11:00 Uhr entäußert.

Zu diesem Zeitpunkt hatte der Betriebsrat noch nicht abschließend zu der beabsichtigten Kündigung der Beklagten Stellung genommen. Eine abschließende Stellungnahme liegt insbesondere nicht im Betriebsratswiderspruch vom 25. Januar 2016. Eine solche ist jedoch Voraussetzung dafür, dass einer Äußerung des Betriebsrats hinsichtlich des Anhörungsverfahrens eine fristverkürzende Wirkung zukommt (…) Erklärt der Betriebsrat nicht ausdrücklich, dass eine erfolgende Stellungnahme abschließend sei, ist deren Inhalt durch Auslegung entsprechend §§ 133,157 BGB zu ermitteln (…) 

Nur wenn die Auslegung ergibt, dass sich der Betriebsrat bis zum Ablauf der Anhörungsfrist nicht noch einmal ergänzend äußern möchte, kann der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vor Ablauf der Wochenfrist wirksam kündigen (…). Auch wenn der Betriebsrat sich die Ergänzung einer bereits übermittelten Stellungnahme nicht ausdrücklich vorbehalten hat, ist er grundsätzlich nicht auf eine einmalige Äußerung beschränkt, sondern kann innerhalb der Wochenfrist eine bereits abgegebene Stellungnahme jederzeit erweitern (…).

Dabei (…) davon auszugehen, dass Anhaltspunkte für eine abschließende Stellungnahme regelmäßig vorliegen, wenn der Betriebsrat mitteilt, der beabsichtigten Kündigung ausdrücklich und vorbehaltslos zuzustimmen oder er erklärt, von einer Äußerung zur Kündigungsabsicht abzusehen. Bei einem Widerspruch des Betriebsrats darf der Arbeitgeber hingegen nur dann von einer abschließenden Stellungnahme ausgehen, wenn hierfür besondere Anhaltspunkte vorliegen oder der Arbeitgeber sich ausdrücklich beim Betriebsrat erkundigt hat, ob der Widerspruch als abschließende Stellungnahme anzusehen ist (…). Dagegen kommt es … nicht mehr darauf an, ob der Arbeitgeber davon ausgehen konnte, dass der Betriebsrat keine weitere Erörterung über den beabsichtigten Kündigungsausspruch verlangt (…).”

b) Die Anhörung war auch aus anderen Gründen nicht ordnungsgemäß:

§ 102 Abs. 1 BetrVG begründet für den Arbeitgeber die Pflicht, dem zuständigen Betriebsrat den für die Kündigung maßgebenden Sachverhalt so genau und umfassend mitzuteilen, dass dieser ohne zusätzliche eigene Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu prüfen und sich über eine Stellungnahme schlüssig zu werden. Hierzu gehören u.a. :

  • die Informationen über die Person des Arbeitnehmers,
  • Art und Termin der beabsichtigten Kündigung und über den konkreten Kündigungsgrund.
  • Umstände, die den Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er dem Betriebsrat einen schon aus seiner Sicht unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt darstellt. Das, was der Arbeitgeber dem Betriebsrat mitteilt, muss inhaltlich zutreffend und so detailliert sein, dass der Betriebsrat sich auf dieser Basis das geforderte eigene Bild machen kann.

Dem war hier nicht so:

  • Der Betriebsrat hatte keine Kenntnis von den unterhaltsberechtigten Kindern und der Arbeitgeber hatte auch nicht darüber informiert. Der Betriebsrat sei hier nicht ausreichend informiert worden, sondern Arbeitgeber hatte sogar Falschinformation an die Klägerin gegeben. Denn der Beklagten war aus der Klage gegen die Kündigung vom 2. November 2015 positiv bekannt, dass der Kläger zwei unterhaltsberechtigte Kinder hatte. Eine bewusst unrichtige Angabe für die Interessenabwägung erheblicher Sozialdaten des Arbeitnehmers führt zu Unwirksamkeit der Anhörung und damit der Kündigung.
  • Außerdem wurde der Betriebsrat nicht über den Kündigungsgrund ordnungsgemäß informiert worden. Möchte der Arbeitgeber seine Kündigung erster Linie auf den dringenden Verdacht einer erheblichen arbeitsvertraglich Verletzung stützen, so muss er dem Betriebsrat dies mitteilen und die Umstände angeben aus den sich der konkrete Verdacht ergeben soll. Dem Anhörungsschreiben sei nicht zu entnehmen, ob die Arbeitgeberin eine Tat- oder eine Verdachtskündigung aussprechen wolle. Dies ist aber notwendig. Für den Betriebsrat müsse in der Anhörung erkennbar sein, ob der Arbeitgeber eine Tat- oder eine Verdachtskündigung aussprechen wolle.

Rechtsanwalt Klaus Wille
Fachanwalt für Familenrecht
Dozent für das Arbeits- und
Betriebsverfassungsrecht
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