Unterhalt mit Auslandsbezug: Leben Unterhaltsberechtigter und Unterhaltspflichtiger nicht beide in Deutschland, dann sind bei der Unterhaltsfestsetzung die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten zu berücksichtigen.

1. Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung von Mindestunterhalt für die beiden minderjährigen Kinder. Die Kinder leben bei der Kindesmutter in Deutschland, der Antragsgegner lebt in der Schweiz. Der Antragsgegner hat ein Einkommen aus einer halbschichtigen Tätigkeit in Höhe von 2.000 Fr. (brutto). Kindesmutter macht geltend, der Antragsgegner könne eine vollständige Tätigkeit annehmen. Dann könne auch er auch den Mindestunterhalt zahlen.

Das Amtsgericht hat ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass der Antragsgegner derzeit wegen Depressionen nicht in der Lage sei, mehr als halbschichtig zu arbeiten. Der Antragsgegner habe noch nicht alle Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft. Es handele sich nicht um einen dauerhaften Zustand. Das Familiengericht hat den Antragsgegner verpflichtet für die beiden Kinder den Mindestunterhalt zu zahlen. Dagegen legte der Antragsgegner fristgerecht Beschwerde beim Oberlandesgericht (= kurz: OLG) ein.

2. Beschluss des OLG Karlsruhe vom 5. August 2014 (Az. 5 UF 87/14)

a) Internationale Zuständigkeit in Verfahren Unterhalt mit Auslandsbezug

Das OLG prüfte zunächst die internationale Zuständigkeit des deutschen Gerichtes in Verfahren.

Diese ergebe sich aus dem Lugano Übereinkommen 2007. Der Vorrang des Lugano Abkommens sei in Art. 64 Abs. 2 Lugano Übereinkommen bzw. in Art. 69 Abs. 1 EU Unterhaltsverordnung geregelt.

b) Es sei deutsches Recht gemäß Art. 15 EU Unterhaltsverordnung zu wenden, da die unterhaltsberechtigte Person in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

c) Das OLG hält die Beschwerde für unbegründet.

Der Bedarf der in Deutschland lebenden Kindern richte sich nach der Lebensstellung des Barunterhaltspflichtigen Elternteils, da die minderjährigen Kinder noch keine eigene Lebensstellung erhalten hätten. Das OLG ging dann relativ zügig auf die Frage ein, ob und wie die unterschiedliche Kaufkraft in der Schweiz im Felde zu Deutschland zu berücksichtigen sei. Hierzu für das OLG wie folgt aus:

“Die Anpassung an die unterschiedliche Kaufkraft in der Schweiz, wo der unterhaltspflichtige Vater lebt, erfolgt grundsätzlich in der Weise, dass das im Ausland erzielte Einkommen entsprechend der Kaufkraft umgerechnet wird und sich nach diesem Ergebnis die Einkommensstufe der Düsseldorfer Tabelle richtet (…). Auf diese Weise kann ermittelt werden, welche Geldbeträge der Unterhaltsverpflichtete an seinem ausländischen Aufenthaltsort aufwenden muss, um einen dem Inland entsprechenden Lebensstandard zu erreichen (…). Wie auch der vorliegende Fall zeigt (…), kann außerdem nur auf diese Weise der in Deutschland erforderliche Mindestkindesunterhalt gewahrt werden (…), anders als wenn die Bedarfsbeträge der Düsseldorfer Tabelle für das im Inland unterhaltsbedürftige Kind wegen des ausländischen Vaters mit einem Preisabschlag versehen werden (…). Das derzeit tatsächlich erzielte Einkommen des Antragsgegners beträgt weniger als 1.500 CHF monatlich. Selbst bei einer reinen Umrechnung nach den jeweils geltenden Währungskursen und ohne Berücksichtigung des höheren Preisniveaus in der Schweiz (…) ergibt dies weniger als 1.500 € monatlich.”

d) Der Antragsgegner sei darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass er zum Mindestunterhalt nicht leistungsfähig sei.

Dabei habe er alle zumutbaren Erwerbsmöglichkeiten anzunehmen und auszuschöpfen. Leistungsfähigkeit bestimme sich da nicht nach seinem tatsächlichen Einkommen, sondern nach denen zumutbarer Weise erzielbaren Einkünften. Der gesteigerte unterscheide müsse zu jeder Zeit von Tätigkeit oder zu wenig attraktiven Arbeitsbedingungen bereit sein.

Der Sachverständige habe im Gutachten festgestellt, dass der Antragsgegner an einer eine Depression leide. Aus diese ergebe sich auch eine Leistungseinschränkung. Der Antragsgegner habe nicht dargelegt und bewiesen, dass er die Erkrankung behandelt habe.

Das OLG führt hierzu wie folgt aus:

“Bei einer Erkrankung kommt es darauf an, ob der Unterhaltsschuldner eine zumutbare und erfolgversprechende Therapie unterlassen hat zu einer Zeit, als seine Einsicht und die Fähigkeit danach zu handeln, bestanden hat und er sich der Möglichkeit bewusst war, er werde in Folge der unterlassenen Behandlung weiterhin nicht in der Lage sein, Unterhalt zu leisten (…). Ein solches verantwortungsloses Verhalten liegt im Hinblick auf die gesteigerte Erwerbsobliegenheit gegenüber minderjährigen Kindern gemäß § 1603 Abs. 2 BGB dann vor, wenn der Unterhaltsschuldner seine bestehende Erkrankung nicht mit zumutbaren und erfolgversprechenden Therapien behandelt und bei ihm eine volle Einsichtsfähigkeit in die Erkrankung besteht und zugleich die Fähigkeit, sein Verhalten zu steuern (…).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Der Sachverständige Prof. Dr. E. hat überzeugend und nachvollziehbar dargelegt, dass die vorliegende Erkrankung gut behandelbar ist. Bei 80% der Patienten wird ein recht schneller Erfolg erzielt. Bei den verbleibenden 20% gibt es dann noch einmal Behandlungsmöglichkeiten, die auch hier häufig zu einem Erfolg führen.”

e) Das OLG hatte daher das vorgetragene Bruttoeinkommen (2.000 Scheizer Franken) verdoppelt. Es ergab sich daher ein Bruttoeinkommen von 4.000 Schweizer Franken

Selbst unter Berücksichtigung diverser Abzüge (Steuern, Missionskasse, Krankenversicherung, Selbstbeteiligung, etc.) ergebe sich ein bereinigtes Einkommen von 2.678 Schweizer Franken.
Es müsse dann auch der Selbstbehalt des Antragsgegners berücksichtigt werden. Selbstbehalt sei aber mit einem fiktiven Einkommen auch gewahrt. Dies gelte auch dann, wenn man die höheren Lebenshaltungskosten in der Schweiz berücksichtige. Das OLG setzte sich dann ausführlich mit der Umrechnung des Kaufkraft Ausgleiches auseinander.

f) “Die Leistungsfähigkeit des im Ausland lebenden Unterhaltspflichtigen ist zu ermitteln, indem die auf deutsche Verhältnisse zugeschnittenen Mindestbedarfswerte auf die im Ausland geltende Kaufkraft umgerechnet werden (…). Also ist mit den aufgeführten Faktoren der deutsche Selbstbehalt um die Kaufkraftunterschiede zu bereinigen.

Die Prüfung des Selbstbehalts kann nicht dadurch erfolgen, dass das ausländische Einkommen an die Kaufkraft im Inland angepasst und am inländischen Selbstbehalt gemessen wird (…), insbesondere ist dies nicht ergebnisneutral. Zwar sind zwei der Rechengrößen in gleicher Weise (Kaufkraftanpassung) variabel, nämlich das Einkommen und der Selbstbehalt. Dies gilt aber nicht für die dritte Rechengröße, nämlich den Unterhaltszahlbetrag. Dieser verändert durch den Überweisungsvorgang in eine andere Kaufkraftzone nicht etwa seine Höhe.

Entscheidend ist, dass dem Unterhaltsschuldner der Mindestbedarf, angepasst an seine Lebensverhältnisse im Ausland, verbleiben muss.

Die Gegenmeinung kann zu untragbaren Ergebnissen führen. Wenn z. B. (wie etwa in Serbien gegenüber Deutschland) die Kaufkraft im Ausland doppelt so hoch ist, so könnte dort mit einem Betrag von umgerechnet 540 € etwa der gleiche Lebensstandard gewahrt werden wie in Deutschland mit dem hier geltenden Selbstbehalt von 1.080 €. Dieser Betrag müsste daher dem Unterhaltsschuldner verbleiben.

Demgegenüber kann die Hochrechnung des ausländischen Einkommens hier zu unsinnigen Ergebnissen führen. Wenn etwa ein Vater mit einem serbischen Nettoverdienst von (währungstechnisch) umgerechnet 1.200 € netto gegenüber drei Kindern der 3. Altersstufe in Deutschland unterhaltspflichtig wäre, würde sich ein Unterhaltsbedarf von 3x 400 €, d. h. insgesamt 1.200 € ergeben (1.200 € Einkommen hochgerechnet auf 2.400 € führen nach Herabstufung zur 3. Einkommensstufe). Eine Leistungsfähigkeit besteht aber nur in Höhe von 660 € (1.200 € Einkommen abzüglich des heruntergerechneten Selbstbehalts von 540 €). Wenn das serbische Einkommen von 1.200 € hier auf 2.400 € hochgerechnet und davon der deutsche Selbstbehalt von 1.080 € abgezogen würde, ergäbe sich eine Leistungsfähigkeit von 1.320 €, obwohl der Vater nur 1.200 € verdient.”

Autor: Rechtsanwalt Klaus Wille
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