Das Jugendamt hat in eigener Verantwortung zu prüfen, ob öffentliche Hilfen der Eltern in Anspruch genommen müssen.

1. Sachverhalt

Die Kindeseltern leben zusammen und sind nicht miteinander Verheiratet. Im Jahre 2012 wurde ein Kind geboren. Die Kindesmutter hat bereits weitere Kinder aus einer anderen Beziehung. Das Neugeborene Kind wurde am 09.03.2012 vom Stadtjugendamt in Obhut genommen und in die Kinderklinik verlegt. Das Amtsgericht Koblenz hat mit Beschluss vom 14.03.2012 der Kindesmutter das Recht zur Aufenthaltsbestimmung, das Recht zur Regelung der ärztlichen Versorgung, das Recht zur Führung von medizinischen Behandlungen und das Recht zur Beantragung von Jugendhilfemaßnahmen für das Kind entzogen. Darüber hinaus wurde das Kind eine Bereitschaftspflege gegeben. Am 02.04.2012 hat das Amtsgericht Andernach nach Durchführung eines Anhörungstermins und Vernehmung von diversen Zeugen die einstweilige Anordnung aufgehoben. Darüber hinaus wurde der Kindesmutter aufgegeben öffentliche Hilfen in Anspruch zu nehmen. Für den Fall der fristgerechten Beantragung der Hilfen musste das Jugendamt das Kind bis zum 17.04.2012 herausgeben. Das Amtsgericht hat ferner entschieden, dass das Jugendamt regelmäßige Kontrollbesuche bei der Kindesmutter vornimmt. Das Kind wurde am 13.04.2012 an die Mutter herausgegeben. Eine Fachkraft besuchte den elterlichen Haushalt fünfmal in der Woche mit insgesamt zehn Fachstunden. Das Jugendamt beantragte nun weiterhin der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitsfürsorge und das Recht zur Beantragung von Erziehungshilfen zu entziehen. Eine Fachkraft der sozialpädagogischen Familienhilfe wurde im Verfahren angehört und hat gegenüber dem Verfahrensbeistand berichtet, dass das Kind im Haushalt der Kindeseltern gut versorgt sei und es aus ihrer Sicht keine Beanstandung gegeben hätte.

2. Rechtlicher HIntergrund

§ 1666 BGB erlaubt Eingriffe in die elterliche Sorge, wenn das Kindeswohl gefährdet ist und die Eltern in ihrer Schutzfunktion ausfallen. Ein Entzug der elterlichen Sorge ist der stärkste Eingriff in das Grundgesetzgeschützte Elternrecht.

3. Beschluss des OLG Koblenz vom 29.05.2012 (Az.: 11 UF 266/12)

Das OLG hat den Antrag des Jugendamtes zurückgewiesen.
Zum Zeitpunkt der amtsgerichtlichen Entscheidung lagen die Voraussetzungen für einen Sorgerechtsentzug nicht mehr vor. Man hätte der Kindeswohlgefährdung auf anderer Weise du zwar durch öffentliche Hilfe entgegen wirken können.
Dabei betonte das OLG nochmals, dass die Trennung des Kindes von seinen Eltern als den stärksten Eingriff in das Elternrecht angesehen werden muss. Dieser ist nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 6 Abs.3 GG zulässig. Dazu führt das OLG wie folgt aus:

„Danach dürfen Kinder gegen den Willen des Sorgeberechtigten nur aufgrund eines Gesetztes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu Verwahrlosen drohen. Nicht jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit der Eltern berechtigt den Staat auf der Grundlage seines ihm nach Art. 6 Abs.2 S.2 GG übertragenen Wächteramtes, die Eltern von der Pflege und Erziehung ihres Kindes auszuschließen oder gar selbst die Aufgabe zu übernehmen. Das elterliche Fehlverhalten muss vielmehr ein solches Ausmaß erreichen, dass das Kind bei einem Verbleiben in der Familie in seinem körperlichen, geistigen oder seelischen Wohl nachhaltig gefährdet ist (…). Es muss eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten sein (…).“

Dabei betonte das OLG auch, das reine Zweifel an der Erziehungsfähigkeit für einen Sorgerechtsentzug nicht ausreichen. Daher hätte das Jugendamt zuerst prüfen müssen, ob nicht öffentliche Hilfen gem. §§ 11 bis 40 SGB VIII in Anspruch genommen werden müssen. Man hätte die Kindesmutter anweisen müssen öffentliche Hilfe insbesondere in Form der Einrichtung einer sozialpädagogischen Familienhilfe in Anspruch zu nehmen. Es handelt sich auch um ein geeignetes Mittel. Und gerade in diesem Fall sei es geeignet gewesen, da das Jugendamt selbst dem Antrag auf Einrichtung einer Familienhilf stattgegeben habe.
Zudem habe die Kindesmutter ausdrücklich erklärt, an der Fortführung der sozialpädagogischen Familienhilfe uneingeschränkt mitzuwirken. Dem Kind ginge es aufgrund der Aussagen des Verfahrensbeistandes und der Fachkraft gut, und es sei aktuell nichts weiter zu veranlassen.

4. Fazit

Das Gericht hat ausdrücklich betont, dass der Sorgerechtsentzug nur unter ganz engen Voraussetzungen als „ultima ratio“ gerechtfertigt sei. Ein Sorgerechtsentzug soll insbesondere dann nicht gerechtfertigt sein, wenn es den Eltern nicht gelingt ihre Erziehungsfähigkeit nachzuweisen. Vielmehr habe das Jugendamt in eigener Verantwortung die Eignung öffentlicher Hilfen zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung zu beurteilen und sie anzubieten. Ein Sorgerechtsentzug müsse immer unter dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beobachtet werden.
Für Rückfragen zu diesem oder andere Themen stehe wir Ihnen gerne zur Verfügung. Einen Beratungstermin können Sie gerne hier vereinbaren.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wille
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Familienrecht
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