Die Häufigkeit der gewährten Umgangstermine darf nicht zum faktischen Umgangsausschluss führen. Dies gilt gerade auch bei Kindern, die in Pflegefamilien leben.

1. Sachverhalt

Ein Vater streitet mit dem Jugendamt über den Umfang seines Umgangsrechts. Das Kind, Jahrgang 2007, lebt in einer Pflegefamilie. Der Vater hatte vorher versucht das alleinige Sorgerecht für das Kind zu erhalten. Dies war ihm im Ergebnis verwehrt worden. Der Vater wollte Umgangsrecht mit dem Kind erhalten.
Das Jugendamt teilte dem Antragsteller Mitte Februar 2010 mit, dass ihm allenfalls ein Umgangsrecht einmal in 3 Monaten gewährt werden könne, da ein Umgang für die Entwicklung des Kindes nicht für förderlich gehalten werde. Daraufhin beantragte der antragstellende Kindesvater im vorliegenden Verfahren, ihm ein Umgangsrecht mit seinem Sohn an jedem Samstag im Monat in der Zeit von 10:00 bis 12:00 Uhr beziehungsweise einmal in der Woche für 2 Stunden einzuräumen. Zur Begründung führte er aus, dass weder durch seine Persönlichkeit noch durch sein Verhalten das Kindeswohl gefährdet sei und er als Vater ein Recht habe, seinen Sohn zu sehen und Umgang mit ihm zu pflegen. Dies sei besser möglich, wenn er unbegleiteten Umgang mit seinem Sohn habe. Er habe sich zu keinem Zeitpunkt eines Übergriffes oder auch nur einer Schädigung des Kindes schuldig gemacht. Das Amtsgericht gab dem Kindesvater Umgangskontakte viermal im Jahr. Zusätzlich dürfe er brieflich Kontakt zu seinem Kind aufzunehmen und regelmäßig Fotos von sich übermitteln. Dagegen legte der Kindesvater Beschwerde ein. Er verlangt nunmehr, daß ihm mindestens ein Mal in der Woche das Umgangsrecht eingeräumt werde. Auch dieses lehnte das Jugendamt ab.

2. Rechtlicher Hintergrund

Regelungsgrundlage für das Umgangsrecht ist § 1684 BGB, wonach sowohl das Kind selbst einen Anspruch auf Umgang mit seinem leiblichen Vater als auch umgekehrt dieser mit seinen Kind hat. Dies gilt auch dann, wenn den Eltern oder einem Elternteil das Sorgerecht entzogen worden ist und der Vormund das Kind in eine Dauerpflegefamilie gegeben hat (OLG Hamm in: FamRZ 2011, S. 1668).

3. Beschluss des OLG Hamm vom 20.02.2011 (Az.: II – 8 UF 227/10)

Das OLG gab der Beschwerde des Kindesvaters teilweise statt und gewährte ihm ein monatliches Umgangsrecht. Das Umgangsrecht dürfe nur eingeschränkt werden, wenn dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist.
a) Der Umgangsausschluss ist nur als Maßnahme zur Abwendung einer konkreten gegenwärtigen Gefährdung der körperlich und geistigen Entwicklung des Kindes möglich. Auch wenn das Kind bei einer Pflegefamilie lebe, dürfe dies nicht dazu führen, dass der Kontakt zu den leiblichen Eltern abbricht. Weiter führt das OLG aus:

"Denn grundsätzlich handelt es sich bei einer Inpflegenahme von Kindern nur um eine vorübergehende Maßnahme, die zu beenden ist, sobald die Umstände dies erlauben. Alle Durchführungsmaßnahmen im Rahmen der Inpflegenahme müssen mit dem anzustrebenden Ziele der Zusammenführung von leiblichen Eltern mit ihren Kindern im Einklang stehen (…). Hieraus folgt zugleich, dass den Vormund mit Beginn der Inpflegemaßnahme die Verpflichtung trifft, stets zu prüfen, ob eine Familienzusammenführung möglich ist und durch welche Maßnahmen diese erleichtert und gefördert werden kann. Einer wachsenden Entfremdung zwischen leiblichen Eltern und ihren Kindern ist entgegenzuwirken. Nur im Interesse der Wahrung der Kindesbelange ist es dem Staat als Wächter über das Kindeswohl gestattet, derartige schwerwiegende Eingriffe in das verfassungsrechtlich garantierte Elternrecht gemäß Artikel 6 II Satz 1 GG vorzunehmen".

b) Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Kindesvater derzeit keine Beziehung zu dem Kind aufgebaut habe. Dies soll erst durch die Umgangskontakte geschehen. Darüber hinaus berücksichtige das Gericht auch die Feststellungen aus dem Sorgerechtsverfahrens. In diesem war die generelle Ungeeignetheit des Vaters zur Erziehung und Betreuung festgestellt worden. Trotz allem führe die Regelung des Amtsgerichts in der Realität zum Umgangsausschluss. Dies sei nicht angebracht. Dazu führt das OLG weiter aus:

"Obwohl mithin generell auf einen längeren Zeitraum hin gesehen eine Aufnahme des Kindes L2 in den väterlichen Haushalt – zumal bei realistischer Einschätzung der künftigen Entwicklung unter Berücksichtigung seiner immer enger werdenden Bindungen an die Pflegefamilie und dem damit voraussichtlich einhergehenden Erfordernis für eine Verbleibensanordnung – kaum zu erwarten ist, erscheint jedoch andererseits ein völliger Ausschluss des Umgangs gegenwärtig nicht gerechtfertigt, ebenso jedoch auch dessen Einschränkung auf ein Maß, welches tatsächlich einem Ausschluss sehr nahe kommt. Vielmehr ist ein – vorsichtig angebahnter und zunächst behutsam durchgeführter – Kontakt dringend erforderlich, um dem bestehenden "Fremdsein" zwischen Vater und Kind entgegenzuwirken und langfristig eine Beziehung aufzubauen, die grundsätzlich zu der Erfahrung der Abstammung L2s vom Antragsteller führen kann (…)" 

c) Ausführlich beschäftigte sich das OLG auch mit der Situation des Kindes in der Pflegefamilie, in welchem es zum einen Stabilität erhalten soll und zum anderen werde eine Eltern-Kind-Beziehung aufgebaut. Gerade ein junges Kind von 4 Jahren benötige ein Stabiliät und dürfe nicht zur Verunsicherung führen. Die Situation für das Kind wird wie folgt beschrieben.

"Die Herauslösung eines Pflegekindes aus einer Pflegefamilie, in der es durch längeren Aufenthalt verwurzelt ist, ist deshalb mit dem Kindeswohl nur zu vereinbaren und nur zulässig, wenn sie ohne die Gefahr einer erheblichen und nachhaltigen Störung der Kindesentwicklung durchgeführt werden kann. Dabei kann allein schon durch zu intensive Umgangskontakte mit dem leiblichen Vater, bei dem zu befürchten ist, dass er seine Vaterrolle gegenüber dem erst vierjährigen Kind herausstreicht und damit die Position des Kindes in der Pflegefamilie – bewusst oder auch nur unbewusst – infrage stellt, das Kindeswohl gefährdet sein. Ein Kind im Alter von 4 Jahren braucht eine feste Bindung. Wenn es – aus seiner kindlichen Vorstellungswelt heraus – befürchten muss, dass es aus seiner sozialen Familie herausgenommen und zu einem ihm völlig fremden "Vater" übersiedeln muss, wird es in seiner Entwicklung erheblich gefährdet. Diese Angst vor einer Herausnahme kann bei dem Kind bereits entstehen, ohne dass dies von dem Antragsteller ausdrücklich ausgesprochen oder aktuell letztendlich gewollt wird. Ohne diese Einsicht steht das Kindeswohlinteresse auch auf längere Sicht einem unbegleiteten Umgang des Antragstellers mit seinem Kind entgegen. Das Kind befindet sich im Alter von nunmehr vier Jahren weiterhin in einer entscheidenden Entwicklungsphase, hat seine festen sozialen Bindungen gewonnen und kann auf diese aufbauend nunmehr langsam seine Umwelt erfahren, braucht jedoch noch ständig zur eigenen Rückversicherung diese nahe Bindungen. Dies ergibt sich gerade daraus, dass auch nach den Beobachtungen des Sachverständigen das Kind während der Umgangskontakte mit dem Antragsteller ständig den Kontakt zu seiner Pflegemutter sucht. Eine Kappung dieser Bindung zum jetzigen Zeitpunkt – und sei es auch nur über einen Zeitraum von mehreren Stunden – würde dem Kindesinteresse entgegenlaufen. Eine unkontrollierte Überlassung des Kindes an eine Person, zu dem das Kind bisher keine enge Beziehung und kein Vertrauen hat aufbauen können, für einen Zeitraum von mehreren Stunden würde lediglich zu einer Verunsicherung des Kindes und zur Gefahr des Verlustes seiner sozialen Bindungen und damit zu einer Gefährdung seiner allgemeinen Sozialisation mit den sich möglicherweise daraus ergebenden schwerwiegenden Folgen führen."

Trotz allem sei es notwendig, dass Vater und Kind die Möglichkeit erhalten, sich anzunähern. Dazu bedarf es mehr Umgangstermine als einmal im Vierteljahr.

4. Fazit

Die Situation für Eltern und Kinder, die getrennt leben (müssen) ist äußerst schwierig. Selbst wenn die Gerichte unterstellen, dass die Kinder bis zur Volljährigkeit in Pflegefamilien leben werden, müssen Umgangstermine mit den leiblichen Eltern möglich sein. Die Häufigkeit muss dem Kind auf der einen Seite die Möglichkeit geben, eine Stabilität zu erhalten, und auf der anderen Seite muß eine Annäherung möglich sein. Das Gericht hält daher ein einmonatliches Umgangsrecht für 2 Stunden (!) für angemessen. Ob sich daraus wirklich eine Beziehung entwickeln kann, ist dagegen äußerst fraglich. Vielmehr wird man darauf aufbauend die weiteren Umgangskontakte ausweiten müssen.

5. Quelle

Der Beschluss ist unter http://www.justiz.nrw.de/ses/nrwesearch.php abrubar.
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Rechtsanwalt Klaus Wille
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