Umgang und Auskunftserteilung dürfen nicht von einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren abhängig gemacht werden

1. Sachverhalt

Der Antragsteller behauptet der leibliche Vater des 2004 geborenen Sohns der Eheleute H zu sein. Die Eheleute H haben von 2001 bis 2003 in Trennung gelebt. Im Jahre 2001 lernte Frau H ging eine Beziehung mit dem Antragsteller ein. Im Laufe dieser Beziehung planten Herr S und Frau H ein Kind. Frau H wurde im Juli 2003 schwanger. Herr S begleitete sie zu ärztlichen Untersuchungen und erkannte beim zuständigen Jugendamt schon vor der Geburt die Vaterschaft an.

Ende 2003 beendete Frau H die Beziehung zu dem Antragsteller und kehrte zu ihrem Ehemann zurück. Das Kind wurde im März 2004 geboren und in der Geburtsurkunde wurde Herr H als Vater eingetragen. Den Eheleuten H ist bewusst, dass sowohl Herr S, als auch Herr H als leiblicher Vater in Betracht kommen. Sie lehnen einen Vaterschaftstest ab. Ein Umgangsrecht bzw. ein Recht auf Auskünfte bezüglich der Lebenssituation des Kindes für den Antragsteller lehnen die Eheleute ebenfalls ab.

Nach Ansicht der deutschen Gerichte (AG, OLG und BVerfG) zählte der Antragsteller grundsätzlich nicht zu den Personen, die Umgang mit dem Kind verlangen können, obwohl er ggf. der leiblich Vater ist. Daher legte der Antragsteller Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein. Der Antragsteller rügte eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 8 EMRK, da er durch die Entscheidung der deutschen Gerichte in seinem Recht auf Familien- bzw. Privatleben verletzt sei, indem ihm der Umgang mit und die Auskunft über die Lebensumstände seines Kindes verweigert werden.

2. Rechtlicher Hintergrund

Ein biologischer – nicht rechtlicher – Vater hat nur dann ein Umgangsrecht gemäß §§1684, 1685 Abs. 2 BGB, wenn  er für das Kind tatsächliche Verantwortung trägt oder getragen hat (sog. „sozial-familiäre Beziehung“). Eine Übernahme tatsächlicher Verantwortung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Person mit dem Kind längere Zeit in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt hat. Entsteht aus einem Seitensprung einer Ehefrau ein Kind, welches biologisch nicht vom Ehemann abstammt, so wird der Ehemann trotzdem Vater des Kindes. Dies kann der biologische Vater auch nicht verhindern.

3. Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrecht vom 15.09.2011 (Beschwerde Nr. 17080/07 – Schneider / BR Deutschland)

Der EGMR sieht vorliegend eine Verletzung von Art. 8 EMRK als gegeben an.

a) Das „Familienleben“ im Sine von Art. 8 EMRK bezieht sich nicht nur auf Beziehungen, welche auf einer Ehe basieren, sondern umfasst auch andere „familiäre“ Bindungen, in denen die Beteiligten zusammenleben, ohne verheiratet zu sein. Wenn nun aus einer solchen Bindung ein Kind entsteht, so ist es ab dem Zeitpunkt und aufgrund der Geburt Teil dieser „Familie“.
Jedoch ist eine bloß auf der biologischen Abstammung basierende Verbindung – ohne weitere Anhaltspunkte für eine enge persönliche Beziehung – nicht ausreichend, um von Art. 8 EMRK geschützt zu werden. Voraussetzung für eine Beziehung, die dem Familienleben gleichgestellt werden kann, ist eine nicht eheliche Lebensgemeinschaft. Eine Ausnahme hiervon kann nur dann gesehen werden, wenn andere Umstände eine Beziehung begründen, die eine ausreichende Beständigkeit aufweist, um aufgrund dessen familiären Bindungen gleichzusetzen ist. Eine solche Ausnahme kann ein beabsichtigtes Familienleben sein, vor allem dann wenn die Nichtaufnahme des Familienlebens nicht im Verantwortungsbereich des biologischen Vaters liegt. Relevante Faktoren für eine solche Annahme beinhalten in jedem Fall die Natur der Beziehung zwischen den biologischen Eltern, sowie ein Interesse des Vaters am Kind und ein Bekenntnis zum Kind, sowohl vor als auch nach der Geburt.

b) Durch Art. 8 EMRK wird aber nicht nur das „Familienleben“, sondern auch das „Privatleben“ geschützt. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass enge Beziehungen, die nicht unter das Familienleben fallen, in jedem Fall unter das Privatleben zu subsumieren sind.

Die fehlende persönliche Beziehung zu dem Kind kann dem Antragsteller nicht negativ angelastet werden. Nach dem deutschen Recht wurde die – durch den Antragsteller vor der Geburt vorgenommene – Anerkennung der Vaterschaft durch die rechtliche Vaterschaft von Herrn H nach §1594 II BGB verdrängt

c) Eine Rechtfertigung dieser Verletzung erkennt das Gericht nicht an.
Die Entscheidungen der deutschen Gerichte zielen darauf ab, die Interessen des Ehepaares H und ihrer – in der Ehe geborenen – Kinder zu schützen. Jedoch ist im vorliegenden Fall und jedem gleich gelagerten Fall von elementarer Wichtigkeit darauf abzustellen, was im besten Interesse des Kindes liegt. Grundsätzlich ist das Interesse des Kindes immer höher zu setzen, als das der Eltern.

Die deutschen Gerichte haben vorliegend das Begehren des Antragstellers zurückgewiesen, ohne zuvor zu prüfen, ob der Kontakt zwischen dem Antragsteller und dem Kind, sowie die Informationen über das Kind an den Antragsteller im besten Interesse des Kindes lagen. Weiterhin wurde nicht die Überlegung angestellt, ob das Interesse des Antragstellers, als möglicher biologischer Vater, die Interessen der rechtlichen Eltern überwiegt.

Nach Art. 41 EMRK wurde dem Antragsteller ein Schmerzengeld in Höhe von 5.000€ und der Ersatz der Verfahrenskosten in Höhe von 10.000€ zugesprochen

4. Fazit

Innerhalb von wenigen Monaten hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrecht die Rechte von nichtverheirateten Vätern gestärkt. Dabei ist bemerkenswert, dass das Gericht auch zwei Mal konträr zum Bundesverfassungsgericht entschieden hat.

Ob und wie sich dieses Urteil auf die Rechtspraxis in Deutschland auswirkt, bleibt abzuwarten. Die nichtehelichen Väter, die nicht der rechtliche Vater sind, können jetzt einfacher ihre Recht auf Umgang und Auskunft fordern.
Bereits durch die Entscheidung des Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg (Urteil vom 03. Dezember 2009) wurde festgestellt, dass deutsche Regelung im Hinblick auf das Sorgerecht eine Ungleichbehandlung von Vätern nichtehelich geborener Kinder im Vergleich zu Vätern ehelich geborener Kinder sei.

Für Fragen zu diesem oder anderen Themen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung. Einen Beratungstermin können Sie gerne hier vereinbaren.

Mit freundlichen Grüßen
Klaus Wille
Rechtsanwalt und
Fachanwalt für Familienrecht
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