1. Sachverhalt

Eine Mutter wendet sich gegen die teilweise Entziehung des Sorgerechts für ihre im Mai 2000 geborene Tochter.
Die nicht miteinander verheirateten Eltern trennten sich im April 2009. Das Kind blieb im Haushalt der Mutter, der die alleinige elterliche Sorge zusteht. Das Kind wurde während der Woche von der Großmutter mütterlicherseits betreut-. Die Wochenenden verbrachte es bei der Mutter.
Der Vater versuchte nach der Trennung Umgang mit dem Kind zu erhalten. Er leitete ein Umgangsverfahren ein, in dem eine Vereinbarung zwischen den Eltern getroffen wurde. Die Kindesmutter hielt sich nicht daran. Gegen die Mutter wurde ein Ordnungsgeld verhängt. Es kamen keine Umgangskontakte zustande. Das Scheitern lag im Wesentlichen in der ablehnenden Haltung der Mutter begründet, die dem Kind wegen seines Wunsches nach Kontakt mit dem Vater unter anderem massive Vorhaltungen gemacht hatte und auch einen begleiteten Umgang im Jugendamt ablehnte. Weitere Vermittlungsbemühungen und -vorschläge blieben ohne Erfolg.
Es wurde daher ein Verfahren zur Entziehung der elterlichen Sorge eingeleitet und ein Sachverständigenutachten über die Erziehungsfähigkeit der Mutter eingeholt. Das Amtsgericht hat die Verfahrensbeteiligten und die Sachverständige angehört. Eine Anhörung des Kindes im abschließenden Anhörungstermin ist gescheitert, weil die anwesende Großmutter dem Amtsrichter den Zugang zum Kind unmöglich gemacht hat. Mit Beschluss vom Tag der Anhörung hat das Amtsgericht der Mutter die elterliche Sorge in den Teilbereichen Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge und Recht zur Antragstellung auf Sozialleistungen entzogen und diese dem Jugendamt als Pfleger übertragen. Das Kind befindet sich seit der Entscheidung in einem Heim der Jugendhilfe.
Das Oberlandesgericht (= OLG) hat die von der Mutter gegen den Beschluss des Amtsgerichts eingelegte Beschwerde zurückgewiesen. Die Kindesmutter legte Rechtsbeschwerde ein.

2. Rechtlicher Hintergrud

Wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes und die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden, hat das Familiengericht nach § 1666 Abs. 1 BGB die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind. Zu den gerichtlichen Maßnahmen gehört gemäß § 1666 Abs. 3 Nr. 6 BGB die teilweise oder vollständige Entziehung der elterlichen Sorge.
Dabei ist anerkannt, dass ein wesentlicher Gesichtspunkte des Kindeswohls  die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens ist. (BGHZ 185, 272 = FamRZ 2010, 1060 Rn. 19).

3. Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 26.10.2011 (Az.: XII ZB 247/11)

Der BGH hob die Entscheidung des OLG auf und verwies es zur erneuten Verhandlung an das OLG zurück.
a) Das OLG habe richtig festgestellt, dass eine Gefährdungslage des Kindeswohls vorliegt. Dies fasst der BGH wie folgt zusammen:

“Das Oberlandesgericht hat eine Gefährdung des Kindeswohls darin gesehen, dass das Verhalten der Mutter bei dem Kind zu einem Loyalitätskonflikt geführt habe. Dieser habe bereits manifeste Verhaltensauffälligkeiten und Bindungsstörungen hervorgerufen, die nach Mitteilung des Jugendamts sogar psychologisch und psychotherapeutisch behandelt werden müssten. Dabei handelt es sich um einen Befund, der zu einem Eingriff in das Sorgerecht nach § 1666 BGB Veranlassung gibt (…). Denn durch das Verhalten der Mutter, das sowohl durch Herabsetzung des Vaters als auch durch Manipulation des Kindes auf eine Unterbindung der Umgangskontakte gerichtet ist, werden die nach den Feststellungen der Vorinstanzen intakten Bindungen des Kindes zu seinem Vater erheblich beeinträchtigt. Das begründet jedenfalls im Zusammenhang mit dem bestehenden verschärften Elternkonflikt die Gefahr einer seelischen Schädigung des Kindes. Zugleich erweist sich eine nur eingeschränkte Erziehungseignung der Mutter, weil ihr die erforderliche Bindungstoleranz fehlt und sie dem Kind demzufolge in seiner weiteren Entwicklung nur eine unzureichende Beziehungssicherheit vermitteln kann.”

b) Darüber hinaus müsse das Gericht trotz Kindeswohlgefährdung prüfen, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingehalten sei. Inbesondere müsse immer geprüft werden, ob es vor dem Sorgerechtsentzug ein milderes Mittel gebe. Das Oberlandesgericht habe versäumt zu prüfen, ob eine Umgangspflegschaft im vorliegenden Fall ein milderes Mittel sei. Dazu führt der BGH aus:

“Eine Aussichtslosigkeit der Umgangspflegschaft lässt sich nur annehmen, wenn es nach den getroffenen Feststellungen offensichtlich ist, dass eine Umgangspflegschaft keinen Erfolg haben wird. Selbst eine nahe liegende Vermutung, die Umgangspflegschaft werde nicht die erwünschten Wirkungen zeitigen, reicht aber nicht aus, um von ihrer Anordnung abzusehen und sogleich weiterreichende Maßnahmen nach § 1666 BGB zu ergreifen. Vielmehr kann von einer Umgangspflegschaft jedenfalls gegenüber einer vollständigen Entziehung des Aufenthaltsbestimmungsrechts mit dem Ziel einer Heimunterbringung nur abgesehen werden, wenn die Umgangspflegschaft sich entweder als unwirksam erwiesen hat oder von vornherein offensichtlich aussichtslos ist.
Das ist hier nicht hinreichend festgestellt. Allein die Beeinflussung des Kindes durch Mutter und Großmutter genügt dazu nicht. Hierbei handelt es sich sogar um die Voraussetzung der Einrichtung einer Umgangspflegschaft, welche somit gerade auf den Fall der – auch nachhaltigen – negativen Beeinflussung durch den Obhutselternteil zugeschnitten ist. Die vom Amtsgericht angeführten Erfahrungen mit einem vereinbarten Umgangskontakt, der durch den Verfah-rensbeistand zu begleiten war, reichen nicht aus. Denn dem Verfahrensbeistand stehen – abgesehen davon, dass er bereits in anderer Funktion am Ver-fahren beteiligt ist – die rechtlichen Befugnisse eines Umgangspflegers nach § 1684 Abs. 3 Satz 4 BGB, über den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen und dessen Herausgabe zu verlangen, nicht zur Verfügung.”

c) Auch habe das OLG nicht geprüft, ob das Kind nicht auch beim Vater leben könne:

“Die unbefristete Heimunterbringung stellt aber als eine Maßnahme, die mit der Herausnahme des Kindes aus der Obhut eines Elternteils verbunden ist, einen besonders schwerwiegenden Eingriff dar, der insbesondere im Hinblick auf das Kindeswohl einer eingehenden Aufklärung und Absicherung bedurft hätte (…). Daran fehlt es im vorliegenden Fall.

Weder das Amtsgericht noch das Oberlandesgericht hat sich damit auseinandergesetzt, welche mittelfristige Perspektive mit der Heimunterbringung des Kindes verbunden ist. Ein Wechsel des Kindes in die Obhut des Vaters ist von den Vorinstanzen nicht in Betracht gezogen worden. Vielmehr soll die Mutter nach Auffassung der Vorinstanzen trotz ihrer nur eingeschränkten Erziehungseignung offenbar die Hauptbezugsperson des Kindes bleiben. Ihr sind dementsprechend die übrigen Sorgerechtsbefugnisse belassen worden. Es hätte demnach der Begründung bedurft, welche mittelfristige Perspektive für das Kind im Fall der Heimunterbringung bestehen soll (vgl. etwa §§ 27, 36 SGB VIII). Ein dauerhafter Verbleib des Kindes im Heim ließe sich nur rechtfertigen, wenn beide Elternteile auf Dauer erziehungsungeeignet wären und eine Abwägung der Vor- und Nachteile die dauerhafte Heimunterbringung als die für das Kindeswohl bessere Alternative erscheinen ließe.

Um dies festzustellen, reichte die Anhörung des Kindes durch den Senat des Oberlandesgerichts nicht aus. Bei der bestehenden komplexen Problematik hätte das Oberlandesgericht vielmehr der eingehenden sachverständigen Beratung bedurft, welche hier trotz Hinzuziehung einer Gutachterin unzureichend geblieben ist. Das vom Amtsgericht eingeholte und vom Oberlandesgericht verwertete Sachverständigen-Gutachten bezog sich lediglich auf die grundsätzliche Erziehungseignung der Mutter, welche von der Sachverständigen – wenn auch mit Einschränkungen – bejaht worden ist. Das Gutachten konzentriert sich auf die Umgangsproblematik, ohne die Gesamtsituation des Kindes und dessen künftige Entwicklung in Betracht zu ziehen. (…)”

Außerdem habe das OLG auch mittels eines Sachverständigengutachtens zu prüfen, ob der Sorgerechtsentzug überhaupt das geeignete Mittel sei, um die Umgangskontakte zwischen Kind und Vater wiederherzustellen. Außerdem müsse geprüft werden,

“ob die Erziehungseignung der Mutter derart eingeschränkt ist, dass es für das Wohl des Kindes auf Dauer schädlicher ist, wenn es in der Obhut der Mutter verbleibt, als wenn es im Heim untergebracht wird.”

4. Fazit

Dieser Fall zeigt exemplarisch wie hilfslos Gerichte mit Umgangsvereitelungen umgehen. Das Verfahren hat mindestens 1 – 1 /2 Jahre gedauert. In dieser Zeit hat das Kind den Vater nicht sehen können. Sogar während des Gerichtstermins hatte die Grossmutter des Kindes dem Gericht den Zutritt zum Kind verweigert, obwohl das Kind angehört werden sollte. Trotz der wiederholten und massiven Umgangsverweigerungen, hat sich der BGH hier auf den Standpunkt gestellt, das OLG müsse mittels eines Sachverständigengutachtens – welches sicherlich wiederum mehrere Monate in Anspruch nehmen wird – diverse Fragen klären. Leider hat Gericht nicht mit einer Silbe den Gerichten Hinweise gegeben, wie in der Zwischenzeit den Umgang zwischen Kind und Vater sicherstellen sollen.  Aus Sicht des Umgangsberechtigten ist diese Entscheidung  mehr als unverständlich.

5. Quelle

Der Beschluss ist unter www.bundesgerichtshof.de veröffentlicht.

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Rechtsanwalt Klaus Wille
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